Liebe Lotte,

die Kunst des Loslassens hat mit Lebenseinstellungen und -prinzipien zu tun. Ich war schon einmal in der Nähe des Todes und das hat mir sicher geholfen, mich mit der Endlichkeit der Welt auseinander zu setzen - und es auf alle Bereiche auszudehnen.

Nietzsche ist kein einfacher Philosoph. Vieles ist zweifellos wirr. Ich habe ihn zusammen mit Schopenhauer in meiner Studienzeit verschlungen. Es sind zweifellos starke Passagen in seinen Büchern - aber auch das Gegenteil. Dein Zitat zählt natürlich zu den starken! Sein Zarathustra-Buch ist das Buch vom "Übermenschen", das später die Nazis für die Skizzierung ihres arischen Übermenschen verwendeten.

Und um noch einmal auf Gerda zurückzukommen; Du hast immer die Wahl, was Du aus einer bestimmten Situation für Dich herausziehst. Der Tag mit Gerda war schön und natürlich will das Gefühl mehr! Man darf ein paar Tage traurig sein und auch Tränen verdrücken und dann muss man eine Entscheidung treffen, wie es weiter geht.

 

Ich habe die Geschichte aufgeschrieben, einen Tag sozusagen verewigt und mich dafür entschieden, die Freude des Tages zu bewahren. Ich bin sicher, auch Gerda denkt heute noch an mich.

 

Das ist kein Akt der Vernunft, sondern der Versuch die Relationen des Lebens auf ihr richtiges Maß zu bringen.

Liebe Abendgrüße, Michael emoticones

Lieber Michael,

 

diese Lebenseinstellungen und -prinzipien hast Du Dir nach und nach „erarbeitet"?

Dem Tod so nah gewesen zu sein, kann ein Auslöser sein, sich weiter und tiefer damit zu beschäftigen. Es kommt aber auch sehr darauf an, wie man sich damit auseinandersetzt.

Ich habe auch Lebensprinzipien und Überzeugungen, denke aber, sie haben eine andere Basis als Deine. Zum Beispiel Deine Überzeugung, dass dieses Leben nur eine Phase von vielen sei. Wie hat sich diese bei Dir gefestigt? smile  Ich kann Dir schreiben, wie ich zu einer ähnlichen Überzeugung gekommen bin.


Als meine Oma vor 14 Jahren starb träumte ich einige Zeit später von ihr. Nur, dass das kein normaler Traum war, wie die vielen anderen Träume sonst. Dies war eine Begegnung, davon bin ich überzeugt. Wir begegneten uns "dort im Traum" in einem Raum, redeten miteinander (ohne die Worte auszusprechen) und sie verabschiedete sich von mir.  

 
Diese Begegnung war Anlass für mich, mich intensiver mit dem Thema Sterben und Tod zu beschäftigen. Ich habe gelesen und gesucht, bei alten "Weisen" und Mystikern und so lange, bis ich wirklich gefühlt habe, dass danach tatsächlich „etwas ist“.

 

Damit möchte ich sagen: Meine Überzeugung wurde/ist also gebildet aus Träumen, Ahnungen und Gefühlen. Ganz vieles in meinem Leben entsteht und besteht daraus.
Das ist aber keine sichere, klare und verlässliche Quelle und Basis.


Wie gelingt es, sich eine stabile, sichere und vor allem eigene Erkenntnis und Überzeugung zu schaffen? Erkenntnisse mit einer soliden Basis, die auch Nachfragen und -forschen standhalten?
Ich meine, bei mir ist alles vage, nebulös und ohne "Beweise"; das macht es so unsicher.

Einen lieben Gruß an Dich emoticones
von Lotte

Liebe Lotte,

ich hatte mehrere Zugänge zu dem Thema.
Zuerst mein eigenes Erlebnis. Bei einem Unfall vor vielen Jahren war ich mehrere Tage bewusstlos und als ich aufwachte, hatte ich noch ein buntes Sammelsurium von „Bildern und Filmen“ in mir, von denen ich bis heute nicht weiß, ob es „nur“ Träume oder auch Nahtoderlebnisse waren.

Das führte natürlich dazu, dass ich danach zahlreiche philosophische und religiöse Bücher las – auch die „fröhlichen Wissenschaften“ von Nietzsche waren übrigens dabei, in dem er einen weiteren seiner berühmten Aussprüche tat: „Gott ist tot“. Danach war nicht Gott für mich tot, sondern Nietzsche. biggrin

Es faszinierten mich alle aufwändigen Totenkulte, die in vielen Ethnologien beschrieben waren und der feste Glaube praktisch aller Völker, dass es danach irgendwie weiterginge.

Dann interessierte ich mich viele Jahre nicht mehr für das Thema. Das Leben war viel wichtiger. Plötzlich starb eine Mitarbeiterin von mir, mit der ich sehr eng verbunden war. Ich "unterhielt" mich noch lange mit ihr nach ihrem Tod, bis ich in einer Nacht träumte, dass sie mich in einer großen Besprechung arg bloßstellte. Ich wachte völlig verwirrt auf, weil sie das im Leben nie getan hätte. Bereits in der nächsten Nacht träumte ich erneut von ihr; sie nahm mich beiseite und sagte mir, dass sie sich im gestrigen Traum von mir abtrennen musste, weil sie jetzt andere Aufgaben habe und sich nicht mehr um mich kümmern könnte.

Dann umarmte sie mich sehr liebevoll (aber völlig unerotisch), lächelte und ich verstand, dass ich sie loslassen musste. Es war eigentlich kein Traum, sondern ein Kontakt mit der "Anderswelt".

Etwas später habe ich mich dann auf die neu aufkeimende Literatur von Nahtoderlebnissen gestürzt (ich will Dir nicht schon wieder Bücher benennen biggrin), die im Grund alles bestätigten, was ich bisher in mich aufgenommen hatte.

 

Deshalb haben mich eigentlich alle Sinne zu meiner Erkenntnis hingeführt, weswegen ich aller Voraussicht nach eher neugierig als traurig von dannen gehen werde.

In diesem unseren Leben ist nichts für die Ewigkeit, deshalb ist loslassen ein Geheimnis des Lebens. Über die Ewigkeit an sich sagt das allerdings nichts aus.

Liebe Grüße, Michael emoticones

 

Nun waren wir bei einem Thema angelangt, welches mich zutiefst faszinierte und fesselte. Wie oft schon hatte ich mich damit beschäftigt, viel dazu gelesen, darüber nachgedacht – und wie sehr hatte ich mich nach einem Menschen gesehnt, mit dem ich mich hierüber austauschen kann! Und nun war da Michael – mit dem ich über all das reden konnte. Sein Wissen auch hierzu, seine Gedanken begeisterten mich. Ich begann unsere Gespräche zu lieben.      

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