Liebe Lotte,
zum Körperlichen:
Vertraue Deinen Beobachtungen; keiner kann sie besser bewerten als Du! Ich würde an Deiner Stelle (vorerst) nach 16 Uhr nichts mehr essen. Wenn Du spürst, dass es (mit dem Tausendguldenkraut?) aufwärts geht, dann bekommst Du immerhin schon die ersten kleinen Belohnungen. Dein Magen/Darm-Trakt ist beeinträchtigt (egal aus welchem Grund), Du musst behutsam (ich verwende das Wort häufig in Deinem Zusammenhang) mit ihm umgehen.
Natürlich tut Nachdenken weh, deshalb tun’s die meisten Menschen nicht!
Es ist sehr wichtig, dass Du Dir Dein „Leiden“ an der Welt bewusst gemacht hast. Was Du schreibst, klingt für mich völlig realistisch.
Die Nebel des Ungewissen beginnen sich zu lichten.
Du bist randvoll mit Liebe und leidest darunter, dass andere es nicht sind.
Das ist zutiefst weiblich. Wenn Du willst, können wir uns darüber näher austauschen. Ich bin ein Mann, bin aber fasziniert von Frauen und habe gelernt, mich in weibliches Empfinden hinein zu fühlen. Der „Filter“, der bei Deiner Geburt vergessen wurde, heißt Frau sein (auch wenn natürlich nicht alle so sind).
Was Du langsam und behutsam (einschleichen) lernen solltest: In bestimmten Momenten zu Abschirmmaßnahmen zu greifen. Das ist natürlich auch ein eigenes Thema. Du darfst nicht alles in voller „Wucht“ auf Dich einwirken lassen.
Und Du brauchst Dinge/Menschen/Gefühle, an denen Du Dich wirklich erfreust! Und auf die Du umschalten kannst, wenn Dich eine Welle der „Un-Liebe“ hinwegzuspülen droht.
Das alles ist kein Luxusproblem – wie Du meintest – es geht um die „Bewältigung“ des Lebens. Ungebremst wird es weiter auf Deine Schwachstellen wirken und Dich krank machen. Und keine Pille kann das verhindern.
Liebe Grüße, Michael
Lieber Michael,
ich werde versuchen behutsam an alles heranzugehen. Warum aber betonst Du das so? Und ich will mich gerne mit Dir weiter über alles austauschen.
Wieso ich das tue weiß ich. Warum aber willst Du das tun?
Du hast recht, es ist für mich kein Luxusproblem. Mag es auch für andere so aussehen. Ich bin so froh, dass du es verstehst, obwohl ich mich auch wundere. Ein "Sei halt nicht so empfindlich, du übertreibst" hatte ich eher befürchtet.
Ich habe versucht, mir Filter zu basteln. Nein, das stimmt nicht ganz. Ich habe mich mehr und mehr zurückgezogen.
Michael, wenn ich mich ganz auf den Menschen mir gegenüber einlassen möchte, wenn ich ihn verstehen will, ihm ehrlich zu hören will, ganz da sein will, dann muss ich mich ihm öffnen und voll zuwenden. Wenn ich aber ganz offen bin, dann tut es einfach nur weh.
Dass die Welt nicht nur voller Liebe ist, dass muss man doch akzeptieren und aushalten können. Auch ich bin doch nicht nur Liebe. Ich kann doch auch blöd, garstig, nachtragend, neidisch und wütend sein. Das ist das Leben! Und ich fühle mich oft, als könne ich das nicht mehr ertragen.
Du hast mich nun ganz schön ins Schleudern gebracht. Es ist bei mir gerade alles ziemlich durcheinander. So viele unsortierte Gefühle.
Liebe Grüße von Lotte
Liebe Lotte,
es ist mir natürlich bewusst, dass ich Dich zum Nachdenken bringe und dass das nicht nur vergnüglich ist. Was habe ich davon? Nichts im herkömmlichen Sinn! Das ist aber auch keine Denkweise, der ich anhänge. Wir haben uns (virtuell) kennen gelernt und ich „helfe“ lieber in meiner „Umgebung“, bevor ich mich in die Hybris stürze, die „Welt zu retten“.
Du sollst behutsam zu Dir sein, weil Du dazu neigst, Deine Probleme eher als nebensächlich abzuschieben.
Ein „sei nicht so empfindlich“ wirst Du von mir nicht hören, weil ich Deine Empfindlichkeit für menschlich wertvoll achte.
Auch andere Frauen kommen damit übrigens nicht gut zurecht und einige, die Du kennst, bevölkern das Forum mit Bauch-, Rücken-, Müdigkeits-, Antriebslosigkeits- und sonstigen Problemen – manche meinen vergiftet zu sein. Nur was ist das Gift?
Dass Du auch garstig sein kannst, bezweifle ich nicht. Aber Du bist prinzipiell so liebenswert offen, dass Du manches bis zu Deinem Herzen vordringen lässt, das die „innere Barriere“ besser nicht durchschlagen sollte. Deshalb sprach ich von Abschirmung. Wie das geht, darüber müssen wir wahrscheinlich noch reden – genauso wie über die unterschiedlichen Mechanismen des Männlichen und Weiblichen.
Lass Deine Gefühle walten; es geht jetzt nicht darum sofort eine Lösung zu finden, weil Dein Leiden nicht wirklich aktuell ist. Aktuell ist es nur dadurch, dass Dein Körper rebellierte. Der muss beruhigt werden, aber er soll durch das Abwägen dieser und weiterer Gedanken in Zukunft nicht mehr in diese Lage kommen.
Schlaf gut Lotte; von Michael
Lieber Michael,
Dein Wunsch für mich hat geholfen. Ich hatte eine wirklich gute Nacht. Vollgestopft mit Träumen.
Heute früh um 6.00 war ich mit dem Hund draußen. Es hat bei uns über Nacht geschneit, richtigen Schnee, der unter den Füßen knirscht und glitzert, wenn Licht drauf fällt. Morgens um diese Zeit ist alles noch so schön still und leer. Das tut gut.
Zum Glück ist unser Hund schon alt, und braucht keine langen Spaziergänge mehr. Aber so kurz "ums Haus" ist bei uns beiden drin.
Nun kommen die guten Ratschläge. Ich soll in eine Klinik, soll doch mal Kortison nehmen, soll mehr unter Leute gehen und was unternehmen. Soll raus aus meinem Schneckenhaus, mich abhärten, eine Therapie machen, einfach mal was Richtiges essen, nur schöne Dinge denken, gesund werden wollen ....
Ein „es geht mir gut“ wird nicht mehr akzeptiert, da es inzwischen offensichtlich ist, dass dem nicht so ist. Alle wollen mir helfen. Ein „es geht mir nicht gut“ ist aber auch nicht das, was sie hören wollen. Zumindest nicht über so lange Zeit.
Ich sehe Sorge in ihren Augen, Kummer, aber auch Ungeduld, und ein wenig sind auch alle gereizt. Es stört mich, dass die Stimmung in meiner Familie so abhängig von mir ist. Geht es mir nicht gut, dann zofft sich auch noch meine Familie.
Michael, ich bin froh darüber, dass Du nicht die Welt rettest, sondern mir zur Seite stehst.
Du schreibst:
dass Du manches bis zu Deinem Herzen vordringen lässt, dass die „innere Barriere“ besser nicht
durchschlagen sollte. Deshalb sprach ich von Abschirmung. Wie das geht, darüber müssen wir wahrscheinlich
noch reden – genauso wie über die unterschiedlichen Mechanismen des Männlichen und Weiblichen.
Ich weiß nicht wie ich mich abschirmen kann. Und bisher war ich auch der Ansicht, es schade mir nicht, mich ganz zu öffnen und nichts zwischen mich und die Welt zu setzen. Im Gegenteil. Ich dachte, ich müsse einfach lernen damit zurechtzukommen. Aber nun sehe ich, dass da etwas nicht stimmt.
Über die unterschiedlichen Mechanismen des Männlichen und Weiblichen habe ich mir noch wenig Gedanken gemacht. Aber es interessiert mich.
Ach ja, und das Buch "Krankheit als Weg" ist angekommen. Ich werde es lesen und freue mich darauf.
Lieben Gruß, Lotte
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